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Erinnerungstext – Das Haus meiner Urgrossmutter

Drüben in der Strasse stand ein altes, altes Haus, das war fast 100 Jahre alt, so konnte man an einem Balken lesen, an dem die Jahreszahl zugleich mit Tulpen und Efeu eingekerbt war. 1915, da wo Soldaten im ersten Weltkrieg noch den Gegenüber mit einer Waffe das Leben nahm, entstand dieses Haus. Das Haus steht gefühlt im Nichts. Links und rechts sieht man nur Bäume, einen Bach und die kleine Wiese neben dem Haus. Die Wiese ähnelt einem idyllischen Garten, wo grünes, frisches Gras wächst, Blumen blühen und Blütenduft in der Luft hängt. Eine richtige «Oase der Seligkeit». Inmitten der Natur liegt, fast schon schläfrig einen Teich. Rosafarbige Rosen verzieren die Rundungen des Teiches, sie konkurrieren mit den Spiegelungen der Bäume im Wasser. Im Garten wuchs das Gras bauchnabelhoch, und überall wucherten Blumen, Mohn, rote Dahlien, gelbe Zinnien und die Vögel zwitscherten melodienhaft daher. An jenem Tag besuchte ich meine Urgrossmutter. Mit roten Wangen und klaren, strahlenden Augen stand ich vor ihrem Haus, dass mir sowohl im Sonnenschein, ebenso im Mondlicht am besten gefiel. Heute war ihr Geburtstag und die Messingknöpfe am Treppengeländer glänzten viel stärker als sonst. Man hätte glauben können, dass sie des Besuches wegen poliert worden wären. Mit übermütigen Schritten stieg ich die grosse Steintreppe hinauf und ging in das Haus hinein. Den ganzen Gang entlang hingen alte Fotografien in prunkvollen Rahmen mit vergoldet Ornamenten. Der Anblick hatte eine Nuance aus dem Rokoko. Man sah Männerportraits stolziert in Anzügen oder Frauen in Seidenkleidern. Mitten an der Wand hing eine Malerei mit einer wunderschönen Dame, so jung, so froh, aber ganz so gekleidet, wie vor alten Zeiten. Sie sah mich mit freundlichen Augen an und ich musste an meine Urgrossmutter denken. War diese Dame sie? In der Luft stand ein abgestandener, vertrauter Duft, den man häufig in alten Häuser wiederfindet. Es war eine Mischung aus süsslichen, femininen Düften, dominiert von herben, holzigen fast schon erdigen Gerüchen. Würde ich diese Geruchsnote in Farben definieren, würde ich an Altrosa, vermischt mit Purpur und Braun denken. Das ganze Haus gab mir von innen wie auch von aussen ein Gefühl von Sicherheit, Geborgenheit und Zufriedenheit.
Basel, 2021