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Lagen zur Transparenz
Als Kind duschte ich nicht gern. Doch nachdem ich meinen temporären Raum entdeckt habe, genoss ich es plötzlich, wenn meine Eltern mich diskret darauf hinwiesen, dass es wieder an der Zeit wäre. Warmes Wasser füllte das kleine, weiss-blaue Badezimmer mit Dampf. Es wurde feucht im Raum, soviel Wasserdampf war manchmal in der Luft, dass man sich nicht mehr im Schrankspiegel erkennen konnte. Ich trocknete mich nach getaner Arbeit mit dem zu grossen, etwas rauen Frottiertuch ab und legte mich danach sofort zusammengekauert, eingewickelt in das Tuch in die Mitte des Badezimmers. Wie eine Katze, die sich an der ungünstigsten Stelle im Raum platziert. So legte ich mich vor das Waschbecken, mit meiner Hand hätte ich im Armradius die Toilette, sowie die Badewanne und das Waschbecken berühren können. So klein war unser Badezimmer, und mit mir am Boden liegend, wurde es nahezu unmöglich, sich darin zu bewegen.
Ich lag aber auf jeden Fall glücklich in der Mitte des Badezimmers, auf dem dickeren Frotteetuch am Boden. Und dann begannen meine Eltern, meinen Raum zu „bauen“. Sie legten weitere Badetücher über mich. Mit jedem Tuch druckte das Gewicht mich näher zu dem Boden. Das wohlige Gefühl von Isolation und trotzdem ein Teil von allem zu sein, wurde erhöht. Ein weiteres Tuch- die Stimmen meiner Familie wurden gedämpfter, erschienen weiter weg. Nochmal eines- die feuchte Wärme der Badetücher nahm Besitz von den sehr spärlichen Hohlräumen zwischen meinem Körper und den Tüchern. Ich genoss die Stille in meinem Tücherraum. Aber auch das passive Teilhaben von dem Geschehen draussen. Ich konnte den Konversationen rund um mich folgen, den vielleicht etwas genervten: „liegt sie schon wieder so blöd rum?“ von meinen Geschwistern. Aber ich musste keine Stellung dazu nehmen. Denn ich war ja in meinem eigenen Raum, der mir ganz alleine gehörte, weit weg. Den niemand nachfühlen konnte. Ein Raum, der mir Geborgenheit gab, der warm war, der kaum Licht durchlässt. Ohne das Sehen konnten alle meine anderen Sinne besser arbeiten. Ich roch die Feuchtigkeit der Tücher, spürte den rauen Frottiertuchstoff auf meiner Haut, schmeckte den süsslichen Duft meines Shampoos auf der Zunge, hörte das leise Rascheln des Stoffes wenn ich mich bewegte. So genoss ich meine temporäre Situation, bis sich meine Knie bemerkbar machten. Denn besonders bequem ist der Raum bestimmt nicht für längere Zeit, dafür umso magischer in dem Augenblick.
Basel, 2019