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Holding Hands with a Horror Story
Aber wenn das wahr ist, dann wäre dieser Ort eine Lüge.
Und sie wäre seltsam, geradezu ironisch.
Unter einer Dachschräge steht ein kleines Mädchen. An einem Ort, den billige Horrorfilm in einen Raum der Furcht verwandelt haben. Sein Charme überschattet von ihrer geradezu bedrückenden Präsenz. Ein alter Dachboden.
Ein weiter Raum und dennoch erdrückend, zu niedrig um aufrecht darin stehen zu können. Die schräge Decke ist in dunkles Holz gehüllt. Dicke Balken strecken sich von den Mitten des Raumes bis zu seiner Mitte, genau so dunkel wie die Latten darunter. Sie belegen den Ort mit einer großen Schwere. Der Boden ist ein rauer Fleece in einem matten Orange, wenn man genau hinsieht findet man auch einige blaue Fasern. Auf ihm stehen allerlei Kisten und Kästen, in jeglicher Größe und Form, doch ihr Inhalt meist vergessen. Dazwischen windet sich eine liebevoll gebaute Modellbahn. Elegant schlängelt sie sich um die verstaubten Kisten. Am Start liegen zwei altmodische Controller, einer in rot und einer in blau, daneben ein Plüschkissen und zwei Plastikautos. Kleine Lichtstrahlen dringen durch die Ritzen im Dach und lassen die Silberschienen der Bahn glänzen.
Dennoch ist der gesamte Raum in Dunkelheit gehüllt, sodass man nicht einmal die Ecken ausmachen kann. Er scheint unendlich weit, wie das Universum. Nur ohne Sterne. Und doch herrscht dort die selbe Stille wie im All. Als würde der Raum jegliche Geräusche verschlucken. Die Dunkelheit hat sich wie zwei große Schwingen um den alten Dachstuhl gelegt.
Man mag nun denken sie wären gefangen, gebunden ans schwarze Nichts. Aber sie sind es nicht, ihre Flügel sind frei und sie fliegt mit stolz gespreizten Federn empor.
Fernab steht eine junge Frau, sie beobachtet das kleine Mädchen, das unter dem einzigen Fenster des Dachbodens steht und den Tanz von Licht und Schatten bewundert. Im Licht kann man einige Staubflocken schweben sehen. Sie funkeln wie ein Glitzerregen in Zeitlupe.
Die Frau bewegt sich nun, die Hand leicht erhoben nach vorne gestreckt. Sie läuft wie gegen Glas, eine unsichtbare Wand. Und sie weiß es. Der Spiegel der Zeit bricht nie.
Zwei Augen treffen sich. Dunkelbraun wie Ebenholz, so dunkel das die Iris die Pupille zu verschleiern scheint. Dazwischen feine Linien wie Gold und Bronze. Sie strahlen wie Sonnen im spärlichen Licht des kleinen Fensters. Die Augen die sie sieht. Die Augen mit denen sie sehen will. Die Augen mit denen sie nicht sieht.
Ein Auto surrt zum Leben und zerbricht die Stille des Ortes. Das Mädchen steht noch immer ungerührt da, doch die Frau ist verschwunden. Nur eine Spur im Staub zeigt das sie überhaupt dort war. Staubwolken die sie aufgewirbelt hat gleiten langsam wieder zurück zum Boden und verdecken ihre Fußabdrücke.
Wie warmer Schnee.
Basel, 2019