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Kein Titel

Endlich habe ich die Kiste nach kurzer Suche im Abstellraum meines Gehirns gefunden, mit der Handfläche fahre ich über den Karton, um den angesammelten Staub auf der Oberfläche wegzuwischen. Um die bestimmte Kiste aus dem Stapel zu heben, muss ich meine Augen schliessen. Die Kiste ist ganz leicht. Erinnerungen wiegen ja auch nicht so schwer. Das Öffnen stellt sich als anspruchsvoller heraus als ich mir gedacht habe. Liegt es daran, dass ich es schon eine Weile nicht mehr getan habe?
Nehme ich mir eigentlich zu wenig Zeit, um in meinen Erinnerungskisten herumzustöbern? Entgehen mir dadurch nicht extrem viele wertvolle Gedanken an meine schon verlebte Zeit? Oder ist es Zeitverschwendung, gedanklich in der Abstellkammer seiner nostalgischen Erinnerungen zu wühlen? Wahrscheinlich stellt sich wie so oft der Mittelweg dieser zwei Ansichten als der Richtige heraus.Wie auch immer, irgendwie bin ich von meinem zentralen Thema, dem Erinnerungsraum, abgeschweift. Aber da kommen sie ja schon, die Erinnerungen, die sich wie kleine Fragmente aus der Kiste zwängen. Sie sind farbig und machen Geräusche, oder ist es – ja es ist eine Stimme? Klar, wie könnte es auch anders sein. Es schwingt die Stimme von Carolina zwischen meinen Hirnzellen. Mit meiner Zwillingsschwester habe ich während meiner ganzen Kindheit das Zimmer geteilt. Wie oft haben wir uns zusammen aus unseren vier Wänden in eine andere Welt fantasiert? Unser Doppelbett, in dem ich oben und Carolina unten geschlafen haben, war mal Schiff auf dem hohen weiten Ozean oder eine verlotterte Baumhütte in einer grossen Baumkrone. Das Doppelbett war nicht nur von unserer Nutzung her von zentraler Bedeutung, sondern bildete auch räumlich gesehen das Zentrum.
Die zwei Etagen des Doppelbettes waren in einer L-Form übereinander angeordnet. Diese Konstruktion machte für uns den Raum in allen Dimensionen erlebbar. An der Wand stand unser Kleiderschrank. Den hatte unser Grossvater mit einem gehärteten Knetmaterial verziert und bemalt. Von den beiden Flügeltüren, umgeben von bunten Blumen und Ornamenten, lachten uns Max und Moritz spitzbübisch an. Darüber im Zentrum ragte ein Vogel mit ausgebreiteten Flügel vom Kasten. In der Nacht jedoch verwandelten sich die zwei Köpfe von Max und Moritz in zwei dunkle Augen inmitten einer bedrohlichen Fratze, die uns aus der Finsternis durchdringend anglotzte. Wie waren wir froh, wenn sich das Mondlicht durch das Dachfenster als Rechteck auf den Boden unseres Zimmers setzte und dadurch die Schwärze dieser Augen zu verringern vermochte. Nach dem wir das Licht gelöscht haben, sprachen Carolina und ich oft vor dem Einschlafen zusammen, bis keine Antwort mehr auf eine Erzählung oder Frage mehr folgte.
Basel, 2015