Dunst der Zeit
Der blaugraue Spannteppich verschluckt die Geräusche der Schritte. Es ist angenehm, auf ihm zu laufen. Ich liebe diese kleine Wohnung; sie bietet so viele Verstecke, so viele Abenteuer und Erinnerungen. Der Blick aus dem Fenster; das dumpfe Licht, wenn es draussen schneit, Sonnenstrahlen werfen am Morgen Lichtersäulen ins Wohnzimmer.
Am meisten gefallen mir die ungewöhnlichen Blickwinkel; das Gefühl der erschütterten Treppenstufen, wenn man sich im Kämmerchen darunter im Dunkeln verbirgt und zwischen den Stufen hindurchlugt, inmitten von Staubsauger, Besen und Putzmittel. Oder wenn man ganz vorsichtig, das Herz schlägt etwas höher, sich auf dem schmalen Holzvorsprung zur kleinen Plattform über der steilen Treppe hangelt. Wir liegen dann inmitten der Sitzkissen aus dunkelrotem, wollenen Webstoff, aus dem auch die Vorhänge gemacht sind. Es ist das wundervollste Versteck; als würde man durch ein Fernglas in eine fremde Wohnung gucken, beobachtet man ungesehen das Geschehen von Weitem.
Die Wände und Decken sind aus Tannenholz, es ist warm hier und die Bettdecken kariert. Meine Eltern benutzen die blau-weiss-karierten, wir die orange-weissen oder die rot-weissen. Bei den Nachttischlampen, die an die Balken in der Dachschräge geklemmt sind, muss man aufpassen; die Glühbirnen werden sehr heiss und man kann sich beim Lesen leicht daran verbrennen. Ihr helles Licht wärmt einem das Gesicht.
Die Küche ist immer etwas kühl und dunkel - ausser wenn man beim Abwaschen ganz laut Musik hört.
Wenn jemand nach Hause kommt, hört man drinnen wie die harten Schuhe am Boden des Unterstandes abgeklopft werden und die Jacke mit dem kleinen Besen vom Schnee befreit. Am Abend sind alle erschöpft und zufrieden, wir lesen oder spielen Monopoly. Ich liege gerne auf dem Tagesbett in der Ecke, dessen kratzigen Wollüberwurf ich mag, aber auch auf den freischwingenden Sesseln auf denen ich auf- und abwippe beim Lesen.
Nachts knarrt das Haus und alle sind in tröstlicher Nähe; ich höre sie in der Dunkelheit atmen.
Basel, 2015