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Illusion

Ich erinnere mich verschwommen an einen Raum in der Zwischenwohnung meines Vaters. Er lebte dort, weil sein gekauftes Haus noch nicht fertig gebaut war.
Mein Vater wollte mir und meinem jüngeren Bruder bei unserem ersten Besuch in der Wohnung den Dachboden zeigen. Vor mir erschloss sich ein Raum, unter einem steilen, nicht ausgebauten Giebeldach, der, nach dem sich das Auge daran gewöhnt hatte, nicht ganz dunkel war. Ich erinnere mich nicht genau, vermute aber, dass das Licht zwischen Ritzen oder durch kleine Dachfenster hineinschien. Die Holzdielen knarrten unter meinen Füssen und eine dicke, mattwirkende Staubschicht lag auf dem Boden. Ich stand auf dem letzten Tritt der Treppe, vor mir, am anderen Ende des Raums, war eine Türe, die in ein weiteres, ausgebautes Zimmer führte, das damals der ältere Sohn der Freundin meines Vaters bewohnte.

Links, neben der Türe, in einer Nische der Dachschräge befand sich eine Truhe. Diese wollte ich unbedingt öffnen, da meine Neugier als Kind unersättlich war. Mein Vater jedoch redete mir ein, dass Gespenster darin wohnhaft sein könnten. Im ganzen Raum gab es unordentlich verteilte, übrig gebliebene Gegenstände und Kleider. Meine Phantasie spielte mit mir. Ich stellte mir vor, wem diese Kleidungsstücke und Dinge gehörten und obwohl ich nicht an Gespenster glaubte, wurde mir unheimlich zu Mute. Der Raum nahm für mich Gestalt an. Plötzlich war für mich dieser Dachstock ein fremder Wohnsitz, in den ich eingedrungen war. Er hatte etwas Mysteriöses an sich, still und doch lebendig. Aus den Gegenständen wurden Geschichten in meinem
Kopf. Die Geschichten wurden zu lebendigen Bildern. Und ich war plötzlich unsicher. Im letzten Moment zog ich die Hand zurück und getraute mich nicht mehr die Truhe zu öffnen. Mein Vater lachte nur.
Ich war nie mehr an diesem Ort, und frage mich heute noch was in der Truhe steckte. Dieser Gedanke lässt mich nicht los.
Basel, 2017